Blick ins Archiv: Der Oberregierungsrat in der Badewanne (1927)

Die Weltkriegs- und Inflationsjahre 1914 bis 1924 brachten Not und Mangel mit sich. Da Kohle knapp war, musste das Tübinger Gaswerk seine Lieferungen einschränken. Trotzdem gelang es, die Warmwasserversorgung des Uhlandbads einigermaßen aufrechtzuerhalten: Man sei, „ohne Einschränkung“ über die Zeit der Kohlennot hinweggekommen und habe „der Bevölkerung ermöglicht, zu gleichen Badepreisen wie im Frieden in den Zeiten der Seifenknappheit etc. der recht nötigen Körperpflege nachzukommen“, schrieb Werksleiter Otto Henig später. 

Die goldenen Zwanziger

Mitte der Zwanzigerjahre ging es wieder bergauf, auch mit den Besucherzahlen im Uhlandbad. Man hatte die Wannenbäder um 10 Wannen erweitert; das ständig überfüllte Dampfbad passte seine Öffnungszeiten an. Auch für die Gäste der Tübinger Hotels, wie „Hoffmanns Hotel zum goldenen Ochsen“ gleich gegenüber (heute Mode-Zinser), war das Uhlandbad interessant und wurde in Prospekten eifrig beworben. 1926 überschritt die Gesamtbesucherzahl die 100.000. Vor allem was die Körperpflege anging, war der Bedarf groß: Mit fast 40.000 Wannen- und über 4.000 Brausebädern hatte sich dieses Segment seit Eröffnungsjahr fast verdreifacht. 1928 - Tübingen hatte rund 22.000 Einwohner und 3500 Studenten - zählte man 88.000 Schwimmer, 50.000 Wannen- und 7.000 Brausebäder. 1929 war das Rekordjahr fürs Hundebad, das von 178 Vierbeinern benutzt wurde. Die Besucher aus der Nachbarstadt fielen übrigens fortan weg, denn im November 1929 hatte auch Reutlingen ein Hallenbad bekommen.

Hin und wieder gab es technische Probleme mit der Warmwasserzufuhr oder der Wasserqualität. Das Gesundheitsamt schrieb Entkalken und Chlorieren des Badewassers vor. Eine moderne Umwälz- oder Filteranlage gab es damals ja noch nicht. 1928 ging zur Verstärkung eine zweite Fernwärmeleitung vom Elektrizitätswerk beim Neckarstauwehr her in Betrieb.

„Ein Badegast wie jeder andere auch“

Der über viele Jahrzehnte bei den Stadtwerken gesammelte Schriftverkehr gibt einen lebendigen Einblick ins tägliche Geschehen. 1926 zum Beispiel bekam die Badangestellte Anna E. gewaltigen Ärger mit einem Reutlinger Oberregierungsrat, der im Wannenbad 1. Klasse die Badezeit überschritten hatte.

Mit „hartnäckigem Klopfen“ hatte sie ihn aufgefordert, sein Bad zu beenden. Der Herr aber beharrte darauf, eine Dreiviertelstunde in der Wanne zu bleiben und weigerte sich, die festgesetzte Badezeit anzuerkennen. „Dazu sagte er, ich sei ein unartiges Fräulein und ich sagte und Sie ein unartiger Herr. Auf dieses hin schrie er mich an und kam mit geballter Faust auf mich zu und sagte, ob ich nicht wisse, wer er sei, dann sagte ich, für mich sind Sie ein Badegast wie jeder andere auch“, nahm Bademeister Buchhalter am 28. August zu Protokoll. Die Verweigerung einer Sonderbehandlung brachte den Regierungsrat derart in Rage, dass er sich in einem viele Seiten langen Brief beim Bürgermeister höchstpersönlich beschwerte. Der tüchtigen, wenn auch als sehr mürrisch bekannten Angestellten, wurde – obwohl sie offenbar schon öfters vom Stadtpfleger sowie vom Bademeister gerügt worden war - ein gutes Zeugnis ausgestellt. Sie ließ sich vier Wochen wegen nervöser Erschöpfung krankschreiben.

Flyer Öffnungszeiten und Bäderpreise 1925