"Wir Kinder mussten immer warten!" Erinnerungen ans Wannenbad Lustnau

1974 war ein Jahr der Veränderungen in der Tübinger Bäderlandschaft: Auf Waldhäuser Ost eröffnete das langersehnte zweite Hallenbad. Am 8. Juli beschloss der Gemeinderat, das Wannenbad in Lustnau aufzugeben.

Zum Baden ging man in die Schule

Jahrzehntelang diente das „Gemeindebad“ in der Dorfackerschule Groß und Klein zur Körperpflege. 1928 hatte es die Gemeinde im Untergeschoss des neuen Flügels einbauen lassen – samt einer Zentralheizung, finanziert durch eine großzügige Stiftung. Ursprünglich gab es ein kleines Becken für die Schüler und fünf Wannen für Öffentlichkeit, später auch Duschen. 1930 ordnete die Gemeinde an, die Bäder an allen Tagen für Frauen und Männer zuzulassen, da „jeder Badende seine eigene Kabine habe und eine Trennung nach Geschlechtern unbedenklich und eine ständige Aufsicht durch den Bademeister und seine Frau vorhanden sei.“ Laut Gemeinderatsbeschluss 1932 sollte den Schulkindern im Winter häufiger Gelegenheit zum Baden gegeben werden: „Als erwünscht wird bezeichnet, wenn die Kinder wenigstens 1 mal im Monat zum Bade kommen“, heißt es im Protokoll.

Während des Zweiten Weltkriegs war im Schulhaus eine Abteilung des Deutschen Roten Kreuzes untergebracht. 1945 bis 1947 blieb das Wannenbad Lustnau geschlossen; 1951 ging es – wie die anderen städtischen Bäder – an die Stadtwerke über. An manchen Wochenenden stiegen 150 Leute hier in die Wanne. Doch auch in Lustnau hob sich in der Nachkriegszeit allmählich der Lebensstandard, in Häusern und Wohnungen hielt moderner Komfort Einzug: Badezimmer wurden eingebaut. Damit fiel für viele der gewohnte Gang zum öffentlichen Wannenbad weg. An den Benutzerzahlen lässt sich dies gut ablesen: Bereits 1961, als man immerhin noch an die 5.000 „Badevorgänge“ zählte, bleib das Wannenbad sonntags geschlossen. 1965 wurden noch fast 3.600 Wannen- und Brausebäder abgegeben, bis 1970 sank die Besucherzahl auf rund 2.000. Einmal Baden kostete damals 1,70 DM, für Kinder 70 Pfennig, sonntags 10 Pfennig mehr. Anfang der 70er Jahre öffnete man aus Spargründen nur noch samstagnachmittags von 14 bis 18 Uhr. Im Jahr der Schließung kamen nur noch zehn Lustnauer regelmäßig. Die wurden nun ans Uhlandbad in der Stadt verwiesen, wo je 14 Duschen und Badewannen zur Verfügung standen.

„Richtig Baden war so schön!“

In gemütlicher Runde fragten wir einige „alte Lustnauer“, Kurt Fromm und seine Cousinen Emma Nestel und Rosemarie Busch, nach ihren Badeerinnerungen:

  • „Ich erinnere mich an etwa acht Wannen und eine Dusche. Richtung Schulhof gab es ein Sitzbad. Der Zugang von außen war von der Riekertstraße her, da wo heute die Mülltonnen stehen.“
  • „Wochenends ging man ins Wannenbad – das gehörte einfach dazu. Als Kinder wurden wir samstags oder sonntagmorgens hingeschickt. Seife und Handtuch hatte man dabei. Meistens herrschte großer Andrang. Man musste warten, bis man aufgerufen wurde.“
  • „Wenn wir Kinder ankamen und Ältere waren schon da, hieß es: ‚Du kannsch warte!‘ Manchmal warteten wir ein bis zwei Stunden auf unser Bad!“
  • „In den 50er Jahren war das Ehepaar Finger für das Bad zuständig. Er war Hausmeister der Dorfackerschule. Später hat der Hausmeister Müller das dann übernommen. Die Badezeit wurde streng überwacht! Keine Chance, länger im warmen Wasser zu bleiben! Nach einer halben Stunde wurde geklopft und zur Eile angetrieben. Alles musste ‚zackzack‘ gehen!
  • „Wir Kinder gingen immer zu zweit in die Wanne. Das hat Spaß gemacht. Daheim wurde natürlich auch im Zuber gebadet – da hatte aber immer nur der erste sauberes Wasser. Mal richtig zu baden war so schön!“
  • „In der Dorfackerschule in der Nachkriegszeit war es sonst nicht gerade komfortabel. Wir Schüler mussten Holzscheite mitbringen, um das Schulhaus notdürftig zu heizen. Und die Klos waren sehr rustikal...“
  • „Der Sauberkeitsbegriff war damals ohnehin sehr dehnbar! Man hat ja lang nicht so oft gebadet oder geduscht wie heute – sich auch nicht so häufig frisch angezogen. Der Aufwand fürs Wäschewaschen war ja noch ein ganz anderer.“
  • „Und das Schamgefühl auch: Das hatte schon etwas Komisches, die Vorstellung, dass sich da alle ausziehen. Man sah damals ja nie Nackte! Selbst nicht im Elternhaus.“

Und wie war es mit dem Schwimmen?

  • „Schwimmen haben wir im Neckar gelernt, bei der heutigen B 27. Und im Goldersbach war unser Spielplatz. Was haben wir da gern im Wasser geplanscht!“
  • „Wir Mädchen haben nicht baden oder schwimmen dürfen, wir mussten so viel bei der Feldarbeit helfen.“
  • „In 50er Jahren waren wir oft im Uhlandbad. Dass die Tübinger Altstadt so schön ist, hab ich als Kind gar nicht gemerkt. Nur das Uhlandbad fand ich schön. Zum Schwimmenlernen bekam man dort Schwimmhilfen aus roten und blauen Korken um den Bauch. Und viele sind von der Galerie ins Wasser gesprungen.“
  • „Nach meiner Erinnerung waren überwiegend Erwachsene im Uhlandbad. Und die Kinder mussten sich unterordnen – sonst haben die Bademeister auch mal kräftig zugelangt.“

Christel Stauß, Enkelin des Hausmeister-Ehepaars Finger erinnert sich:

Marie und Johannes Finger (1. und 4. v. li.) waren 30 Jahre lang ab 1927 in der Dorfackerschule Lustnau tätig. Johannes Finger war gelernter Schlosser, Kriegsteilnehmer im Ersten Weltkrieg und in französischer Gefangenschaft. Zu seinen Aufgaben als Schulhausmeister gehörte es, am Wochenende das Wannenbad und die Dusche für die Lustnauer Bürger zu öffnen. Auch Studenten kamen dorthin, außerdem Schüler der Zimmereifachschule Kress. Mein Großvater hat auch kassiert: Etwa 80 Pfennig kostete 1955 ein Wannenbad. Dazu gab es noch extra feine Duftwasser: Fichtenadel, Lavendel und Chipre für um die 25 Pfennig. Nach jedem Baden haben die Fingers die Wannen wieder sauber gemacht.

Der Hausmeister Erich Müller erinnert sich

Ab Februar 1959 sorgte Hausmeister Erich Müller für den geordneten Badebetrieb in der Dorfackerschule. Für die Festschrift zum 100-jährigen Bestehen hat er aus seinem Alltag als „Badewärter“ berichtet: 23 Bewerber hatte es für die Hausmeisterstelle gegeben. 20 DM bekam er damals für seine Wochenendeinsätze im Wannenbad. Die Bedienung der Dampfheizung erforderte viel Zeit: Im Winter musste schon morgens um 4 Uhr eingeheizt werden, damit es zu Unterrichtsbeginn in den Schulräumen warm genug war. Stündlich war das Wasser nachzufüllen – und die alten Heizkörper sollen heftig rumort und geknallt haben. Als Badewärter war er dazu angehalten, darauf zu achten, dass niemand die Badezeit  überschritt und dass Kinder nicht ohne zu bezahlen eingeschleust wurden.

Quellen: Archiv Stadtwerke Tübingen, Richard Kehrer/Lustnauer Geschichtsverein, Dorfackerschule Lustnau