Folge 1: Eine Kindheit im Hallenbad: Von Lichtbädern, Hundetrocknern und der Badewanne Nr. 9

Interview mit Elisabeth Buchhalter

Mit wem sonst als ihr könnte unsere Geschichtenserie zum 100. Geburtstag des Uhlandbad beginnen? Elisabeth Buchhalter ist die Tochter des ersten Bademeisters Karl Buchhalter und kam 1923 in der Dienstwohnung im 2. Obergeschoss des Uhlandbads zur Welt. Wir trafen sie in einem Tübinger Seniorenheim.

Im Schwimmbad geboren

Meine Familie wohnte mehr als 30 Jahre im Uhlandbad. Mein Vater, Karl Buchhalter, war Kraftfahrer, später „Maschinenobermeister“. 1912 war er aus Reutlingen nach Tübingen gekommen, arbeitete in der Lustnauer Brauerei Heinrich und bei Marquart. 1914 wurde er dann von der Stadt als Bademeister für das Uhlandbad eingestellt. Da er sich wie so viele freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet hatte, wurde er wenige Wochen nach Eröffnung eingezogen und war bis 1918 im Krieg.

Mein Vater war in erster Linie Techniker. Er war für den Betrieb verantwortlich, musste die Maschinen und Heizanlagen bedienen und überwachen. Es gab ja diese fortschrittliche Fernwärmeversorgung vom Gaswerk her. Er hat aber auch Schwimmkurse gegeben - viele auch für Erwachsene - und war ein strenger Schwimmlehrer. Im Dienst trug er immer einen grauen Mantel. Seine 1. Frau, später auch meine Mutter musste mitarbeiten, war für die Wäscherei im Haus zuständig und hat auch im Dampfbad und Wannenbad mitgeholfen.

Wir waren drei Kinder und haben bis 1947 in einer der Dienstwohnungen im 2. Stock gewohnt. Nebenan wohnte die Familie Beerschwinger - er war Schwimmlehrer und Masseur - mit zwei Kindern. Später gab es noch Herrn Maigler, der sommers im Freibad arbeitete. Und ich erinnere mich an Herrn Henig, den Leiter der Stadtwerke und technischen Betriebsleiter.

Wir hatten es recht komfortabel dort, es gab eine Zentralheizung. Mein Vater hatte auch eine Warmwasserleitung bis in die Küche gelegt - Beerschwingers hatten das nicht, die haben das warme Wasser im Wannenbad 1. Klasse geholt. Mit drei Kindern wurde es allerdings eng. Wir haben dann eine Wand eingezogen, um einen Raum mehr zu haben.

Wie es damals aussah

Wenn man reinkam, war links der Friseur Sauter mit Herren- und Damensalon. Viele ließen sich nach dem Baden hier frisieren. Dahinter waren die Kasse und die Wäscheausgabe. Vor allem fürs Dampfbad („russisch-römisches Bad“) hat man viel Wäsche gekriegt: große, schwere Handtücher. Rechts standen Sitzbänke und ein kleines Wasserbecken mit Goldfischen drin, dahinter ging es zum Dampfbad, für das Herr Beerschwinger zuständig war.

Die Wannenbäder waren sehr wichtig! Die 1. Klasse im 1. Stock hatte von Dienstag bis Sonntag, die 2. Klasse im Keller von Donnerstag bis Sonntag geöffnet. Im Keller gab es auch Kabinen mit Brausebädern. Im Wannenbad standen Badewannen mit Füßchen. Die Gäste mussten oft lange warten, vor allem samstags. Im Wartesaal lagen auf einem Tisch Illustrierten und Zeitungen, die haben wir auch immer fleißig gelesen. Als Kind bin ich am liebsten in die Kabine Nr. 9 gegangen, die war kleiner und wärmer als die anderen. In jeder Badekabine stand ein Wecker, der auf eine halbe Stunde eingestellt wurde, dann hatte man die Wanne schleunigst zu verlassen. Wenn es nicht voll war, nahm man das aber auch nicht ganz so genau. Nach jedem Gast wurde die Wanne gereinigt und der Boden geputzt. Auch die Duschen wurden nach jedem Benutzen ausgewischt.

Ein geheimnisvoller Kasten

Besonders fasziniert hat uns Kinder das elektrische Lichtbad in der 1. Klasse: Das war so ein Holzkasten mit lauter Glühbirnen und Spiegeln drinnen, in dem man auf einem Stuhl saß, so dass nur der Kopf rausguckte. Dann sollte man schwitzen.

Im Keller befand sich die Wäscherei, da gab es eine Gaswaschmaschine, eine Schleuder, einen Bügelraum und einen zum Wäschetrocknen im Winter. Und Dampfkessel, denn zum Heizen der Wannen-und Dampfbäder reichte die Fernwärmeleitung nicht aus. Der Heizer kam morgens um 6 Uhr, füllte die Kessel mit Koks. Er musste auch sämtliche Messingarmaturen im Schwimmbad, den Wannenbädern und Duschen putzen.

Hinter dem Uhlandbad waren Gärten und der Eingang zum Hundebad: Hunde kamen in eine Emaille-Wanne mit warmem Wasser und es gab auch einen elektrischen Apparat mit Birnen zum Trocknen hinterher.

Tägliches Ziel: die Schwimmhalle

Die Schwimmhalle hatte ein hohes Gewölbe. Rechts und links vom Becken waren die Umkleiden, einige auch auf der Galerie. Das Wasser war nur etwa 18-22°C warm. Zwei- bis dreimal in der Woche, montags, mittwochs und freitags, wurde das Schwimmbecken neu befüllt und gereinigt. Am Nachmittag wurde das Wasser abgelassen. Die Frauen mussten in der Waschküche im Untergeschoss in den Waschkesseln Seifenbrühe kochen und eimerweise hinauftragen. Damit wurden die Böden und das Becken geschrubbt.

Mit meinen beiden jüngeren Brüdern bin ich natürlich oft geschwommen, immer frühmorgens und abends. Mit fünf Jahren habe ich Schwimmen gelernt. Ich hab mich an der Stange am Beckenrand entlang gehangelt ins Tiefe. Vorher mussten wir Trockenübungen machen. Es gab auch diesen Kran mit Ring, in den man gehängt wurde oder Korkgürtel, die einen oben hielten. Klar, waren wir auch im Schwimmverein. Wenn unsere Freunde kamen, mussten wir immer Karten lösen - da war mein Vater sehr korrekt.

Samstags war es immer besonders voll, auch viele Studenten kamen. Sonntags war geschlossen. Montags war Schülerschwimmen und der Mittwochmittag war fürs Militär reserviert: Wenn eine Kompanie drin war, hat die andere schon unten gewartet. Was meinen Sie, was das für ein übler Geruch war im Haus!

Damals sind ja auch viele Reutlinger ins Uhlandbad gekommen. Erst 1929 hat Reutlingen ein Hallenbad bekommen. Mein Vater hatte sich dort beworben, er hätte dort einiges mehr verdient. Doch die Reutlinger hatten kurz vorher erst einen Musikdirektor aus Tübingen gekriegt, da konnten sie nicht auch noch einen Badleiter von hier einstellen. Das Reutlinger Bad haben wir trotzdem oft besucht und hatten viele Bekannte dort, auch durch die gemeinsamen Schwimmfeste.

1947 sind wir aus dem Uhlandbad ausgezogen, da war mein Vater in Rente und hatte im Übrigen genug vom Ärger mit der Besatzungsmacht, die zu dem Zeitpunkt das Bad beschlagnahmt hatte. Er hatte ein Grundstück unterhalb der Wanne gekauft und hat gern im Garten geschafft. Ich habe später mit meinem Bruder dort gewohnt. Mein Bruder ist noch lang ins Uhlandbad schwimmen gegangen. Ich bin auch immer wieder dort gewesen - zum Massieren oder bis vor kurzem noch zur Fußpflege. Schwimmen tu ich nicht mehr.