CO2-Bilanz überzeugt: Die klimabewusste Altstadt-Baustelle in Tübingen hatte positive Effekte

Stadtwerke Tübingen und LEONHARD WEISS ziehen Bilanz | Tiefbau in historischer Altstadt – nicht selten eine Zumutung für Anwohner und Ladenbesitzer. Und für Baufirmen so gut wie immer eine echte Herausforderung. Eine Baustelle ist eben eine Baustelle – oder vielleicht doch nicht? Dass es auch anders geht, haben die Stadtwerke Tübingen (swt) gemeinsam mit dem Bauunternehmen LEONHARD WEISS bei einem Pilotprojekt in der Tübinger Metzgergasse bewiesen. Die Elektrobagger und E-Rüttelmaschinen sind inzwischen weg – die Verlegung neuer Fernwärmeleitungen in der engen Gasse ist abgeschlossen. Nun zogen die swt und ihr Partner ein Fazit zur ‚klimabewussten Baustelle‘. Und es fällt, trotz bewusst von den Projektpartnern in Kauf genommener Mehrkosten, positiv aus – für Klima, Umwelt und Baustellenumfeld.

In der Tübinger Metzgergasse testeten die Stadtwerke Tübingen mit Projektpartner LEONHARD WEISS erstmalig eine klimabewusste Baustelle in der Altstadt. (Foto: swt/Schermaul)

Zwei Partner beim Pilotprojekt – macht zwei Perspektiven auf die erste Tübinger Baustelle, die klimabewusst geplant und durchgeführt wurde: Die Stadtwerke Tübingen blicken als Bauherr und Auftraggeber auf die Baumaßnahme, das Bauunternehmen LEONHARD WEISS hat wertvolle Erfahrungen beim klimabewussten Tiefbau gesammelt.

Hanno Brühl, Prokurist der Stadtwerke Tübingen, sagt: „Das Gesamtpaket an ganz unterschiedlichen positiven Effekten hat uns überrascht. Wer wie die Anlieger in der Tübinger Altstadt konventionelle Baustellen kennt, war erstaunt, wie groß der Unterschied beim Tiefbau mit elektrischen Fahrzeugen, Maschinen und Geräten in der Realität tatsächlich ist. Über das positive Feedback der Gewerbetreibenden in der Metzgergasse freuen wir uns deshalb besonders. Klimabewusst bauen heißt vor allem auch: CO2-Emissionen so gut wie möglich einzusparen. Auch das ist bei der klimabewussten Baustelle in Tübingen gelungen.“

Welche Aspekte stechen hervor?

Zunächst lässt sich für das Baustellenmanagement feststellen: Sowohl die Baustellenplanung als auch die angepassten Baustellenabläufe funktionieren insgesamt genauso gut wie bei herkömmlichen Baustellen. Entscheidend ist, dass sich alle Beteiligten darauf einlassen und sich an veränderte Abläufe und Routinen gewöhnen. Beispielsweise an das regelmäßige Aufladen der E-Maschinen und E-Geräte, wobei durch eine gute Planung zu keinem Zeitpunkt der Fall eintrat, dass Geräte wegen Ladezeiten nicht zur Verfügung standen. Durch den Einsatz von HVO als Kraftstoff entfielen die sonst fälligen Fahrten zur (fossilen) Tankstelle.

Klimaschonende Effekte an Verbrauchswerten messbar

Der größte Fokus liegt bei einer als klimabewusst konzipierten Baustelle auf den positiven Effekten für Klima und Umwelt. In der Metzgergasse ersetzte LEONHARD WEISS konsequent Baumaschinen und Geräte durch elektrische Äquivalente. Der Wechsel von fossil auf elektrisch brachte erhebliche CO2-Einsparungen: Gemessen über den gesamten Zeitraum ihres Einsatzes halfen die E-Maschinen dabei, rund 3,4 Tonnen CO2 einzusparen. 2.600 Kilowattstunden Strom ersetzten 1.300 Liter Dieselkraftstoff. Eine noch viel größere Emissionseinsparung brachte der konsequente und ausschließliche Betrieb von Fahrzeugen, LKW und Kippern mit dem Dieselersatztreibstoff HVO anstelle fossiler Kraftstoffe: Gerechnet auf den Gesamtverbrauch im Vergleich mit derselben nötigen Menge an Diesel stehen unter dem Strich weitere 4,4 Tonnen CO2-Einsparung. 1.858 Liter Dieselkraftstoff wurden durch HVO ersetzt, das aus erneuerbaren Rohstoffen wie beispielsweise gebrauchtem Speiseöl und tierischen Fetten aus Abfällen der Lebensmittelindustrie hergestellt wird.

Weitere positive Effekte gehen über die Klimabilanz von Maschinen und Geräten hinaus: Für die Bauarbeiter boten die E-Geräte einen gleichwertigen, wenn nicht gar höheren Bedienkomfort ohne Einbußen bei Leistung und Handling, deutlich weniger Lärm und eine erhebliche Verminderung von Abgasemissionen während ihrer Arbeit im und am Baugraben. Mit einer eigenen Ladestationen in unmittelbarer Baustellennähe ließen sich die Ladezeiten problemlos planen und mit den Einsatzzeiten koordinieren.

Anlieger bestätigen deutliche Entlastung

Die erhoffte deutliche Reduzierung baustellentypischer Lärm- und Geruchsbelastungen wurde von etlichen befragten Gewerbetreibenden in der Metzgergasse bestätigt. Besonders die reduzierte Geräuschkulisse mit E-Bagger und Co. viel sehr positiv auf: Sogar Kundengespräche bei geöffneter Ladentür waren problemlos während laufender Baggerarbeiten in der Nähe möglich. Die elektrischen Baustellenfahrzeuge wurden sogar als fast zu leise beurteilt, da sie bisweilen so geräuscharm durch die Altstadt-Gassen fuhren, dass sie von Passanten nicht oder erst sehr spät wahrgenommen wurden.   

Erneuter Praxistest einer klimabewussten swt-Baustelle 2024 denkbar

Ein weiterer wichtiger Aspekt für die Stadtwerke Tübingen als Bauherr und einem der größten Baustellen-Auftraggeber in der Universitätsstadt war: Wieviel Mehrkosten verursacht klimaschonender Tiefbau? Nach zuvor erfolgten Berechnungen des Bauunternehmens LEONHARD WEISS liegen die Mehrkosten gegenüber herkömmlicher Bauweise bei deutlich unter zehn Prozent. Dieser Wert kann jedoch nicht auf jede Art von Baustelle projiziert werden, da jede Baumaßnahme andere Anforderungen an die Tiefbauarbeiten mit sich bringt. Bei den Planungen ihrer Baustellen für 2024 wollen die Stadtwerke Tübingen die Erkenntnisse aus dem Pilotprojekt Metzgergasse einfließen lassen. Die swt schließen nicht aus, das Konzept einer klimabewussten Baustelle im nächsten Jahr bei einer größeren Baustelle einem erneuten Praxistest zu unterziehen und damit den nächsten Schritt zu wagen.